
Wenn man mit Katzen lebt, lernt man viel über Stille, Geduld und die Kunst, die richtigen Fragen zu stellen. Doch manche Katzen bringen dir Dinge bei, von denen du gar nicht wusstest, dass du sie lernen musst. Käse ist so eine Katze. Und dieser Text ist ihr gewidmet.
Käse – eine Seele mit Ecken, Kanten und sehr viel Gefühl
Käse wurde ursprünglich in einem Garten in Frankfurt gefunden. Ihre Milchleiste war prall – sie musste kurz zuvor Kitten geboren haben. Doch ihre Babys blieben unauffindbar. Noch heute, mehrere Jahre später, reagiert sie heftig auf das Fiepen neugeborener Katzen. Dann wird sie unruhig, sucht, ruft – als wäre der Schmerz von damals plötzlich wieder da.
Im Tierheim war sie überfordert. Der Lärm, die Gerüche, andere Katzen, fremde Menschen – all das machte ihr zu schaffen. Sie wurde isoliert untergebracht, aber auch dort wurde sie nicht glücklich. Im Gegenteil: Käse zog sich zurück, wirkte traurig, gab sich zusehends auf. Als der Hilferuf von Petra, der Tierheimleiterin, kam, war mir sofort klar: Ich möchte diesem dünnen, verzweifelten Klappergestell helfen. Und so zog Käse bei mir ein – und mit ihr eine Seele, wie ich sie bisher nicht erlebt habe.
Was man sieht – und was wirklich dahinter steckt
Was an Käse auffällt, ist ihr Verhalten – und wie stark sie mit sich selbst kämpft. Sie leidet unter dem Feline Hyperästhesie Syndrom, einer neurologischen Störung, die zu plötzlichen Anfällen führt, in denen sie ihren eigenen Körper als Bedrohung empfindet. Dann jagt sie ihren Schwanz, attackiert sich selbst, beißt oder kratzt sich so heftig, dass sie sich dabei blutig verletzen kann. Diese Episoden sind für sie genauso belastend wie für mich: Sie wirken wie ein Kontrollverlust – und lassen uns beide erschöpft zurück.
Was nach außen vielleicht wie ein „Ausbruch“ aussieht, ist in Wahrheit ein Ausdruck von Überforderung, Schmerz oder innerer Anspannung. Käse zeigt damit keine Aggression gegen mich – sondern ringt mit sich selbst. Umso wichtiger ist es, ihre Auslöser frühzeitig zu erkennen, Reize zu reduzieren, sichere Rituale zu schaffen und sie in ihren Bedürfnissen ernst zu nehmen.
Unsere Beziehung ist kein geradliniger Weg. Es gibt Rückschritte, Unsicherheiten, Tage, an denen wir beide an unsere Grenzen stoßen. Aber es gibt auch die kleinen, stillen Erfolge: Ein Blick. Ein vorsichtiges Schnuppern. Ein Moment der Nähe ohne Spannungsbogen.
Wir beide lernen, uns aufeinander einzulassen – Schritt für Schritt, im Tempo, das für uns beide möglich ist. Es ist kein einfacher Weg. Aber er ist echt. Und er lohnt sich.
Nähe ohne Zwang – Bindung ohne Bestechung
Es gibt Momente mit Käse, die mir das Herz aufgehen lassen. Wenn ich sie im Freigang rufe, kommt sie meist freudig angerannt, kugelt sich auf dem Boden, streckt mir ihren Bauch entgegen. Wenn wir gemeinsam draußen unterwegs sind – ohne Leine, ohne Geschirr, einfach nur im gegenseitigen Einverständnis –, dann spüre ich, dass sie gern bei mir ist. Weil sie es will. Nicht weil sie muss.
Sie springt auf Mäuerchen, schnuppert in Büschen, kommt immer wieder zu mir zurück. Holt sich einen Streichler ab, schmiegt sich an meine Beine, kugelt sich voller Genuss auf dem Rücken. Das sind keine Tricks, keine Ergebnisse aus dem Training. Das ist Beziehung. Das ist Bindung. Das ist meine Käse.
Was sogenannte „Problemkatzen“ wirklich brauchen
Wenn eine Katze als schwierig gilt, lohnt es ganz besonders sich, genau hinzusehen. Oft ist das Verhalten, das uns herausfordert, ein Ausdruck innerer Not oder erlebter Erfahrungen. Für viele dieser Tiere ist das Leben in Menschenhand ein einziger Drahtseilakt: Sie möchten Sicherheit, aber auch Kontrolle. Sie sehnen sich nach Nähe, aber brauchen Abstand. Sie wirken wankelmütig, sind in Wahrheit aber vor allem sehr sensibel – und sehr klar. Und sie haben Bedürfnisse. Katzenbedürfnisse, die sie ebensowenig verändern oder abschalten können wie wir unsere.
Was diese Katzen brauchen, ist kein strenges Training, sondern ein verlässlicher Rahmen. Rituale. Signale. Verbindliche Kommunikation. Und Menschen, die nicht nur fordern, sondern zuhören können. Katzen wie Käse lehren uns, dass Vertrauen nicht eingefordert werden kann. Es wird geschenkt – in kleinen Portionen, mit großer Wirkung.
Alltag mit Struktur – Leben mit Herz
Mit Käse arbeite ich an klaren Routinen, nutze gezieltes Medical Training, baue sichere Signale auf und schaffe Freiräume zur Selbstwirksamkeit. Wir gehen spazieren, weil es ihr guttut. Wir üben Berührungen, weil sie selbst zeigen kann, was ihr hilft. Ich bin da – aber ich dränge mich nicht auf. Und genau das macht unsere Beziehung so besonders.
Käse erinnert mich jeden Tag daran, dass Katzen keine Maschinen sind. Dass Erziehung kein Selbstzweck ist. Und dass echte Verbindung immer dort beginnt, wo wir bereit sind, auch die unbequemen Seiten auszuhalten. Nicht alles zu kontrollieren. Sondern mitzugehen, Schritt für Schritt.
Für alle, die eine Katze wie Käse begleiten
Wenn du gerade mit einer Katze lebst, die dich herausfordert, vielleicht sogar überfordert: Du bist nicht allein. Und deine Katze ist nicht falsch. Vielleicht braucht ihr beide nur einen neuen Blickwinkel. Einen geschützten Raum, in dem nicht nur das Problem im Vordergrund steht, sondern eure Beziehung.
Ich begleite Menschen und Katzen auf diesem Weg. Und manchmal beginnt alles mit der Entscheidung, nicht aufzugeben.
Willkommen bei #TeamKäse. Willkommen bei Cattalk.